
stattfindenden Fotomesse.
„Das Haus der Fotografie hat viele Zimmer“, hat Klaus Tiedge, Kurator und Mitinitiator des Umweltfotofestivals „horizonte zingst“ einmal gesagt. Wie in jedem Haus, dienen alle Räume unterschiedlichen Zwecken, manche privaten, andere sind für die professionelle Nutzung vorgesehen. Die großen, repräsentativen Räumlichkeiten belegen traditionell die Kunst, der Kommerz, die Wissenschaft, die Dokumentation und die Kommunikation. Letztere hat sich natürlich mehr oder weniger überall breit gemacht: schließlich ist die visuelle Kommunikation ja der allumfassende Zweck dieses Mediums. Doch schaut man genauer hin, so zeigt sich, dass dieses schlossartige Gebäude an vielen Stellen renovierungsbedürftig ist. Die Fassade bröckelt. Neue Wohngemeinschaften sind eingezogen und mancher in die Jahre gekommene Bewohner sieht sich mit dem Umzug ins Austragshäusl konfrontiert. Versuch eines Zustandsberichts der Fotografie.
Dramatisch ist die Lage der klassischen Kameraindustrie, der die Ideen auszugehen scheinen – die Ideen dafür, welche Geräte die Begeisterung am Fotografieren aufrecht halten oder gar neu beleben könnten aber auch die Ideen für deren Vermarktung. Nach wie vor drehen sich Innovationen weniger um die Erweiterung der kreativen Möglichkeiten sondern nach wie vor um die automatische Aufnahme korrekt belichteter, scharfer Fotos unter allen Licht- und Wetterbedingungen. Solange die Industrie sich nicht in der Lage sieht, bisher für unmöglich gehaltene Bilder, mit einfach zu bedienenden Geräten zu realisieren, werden sich potentielle Kamerakäufer kaum motiviert sehen, ihre bereits hervorragende und liebgewonnene Kamera gegen eine neue einzutauschen und dafür eine größere Investition zu tätigen. Kein Wunder, dass die einst glanzvollen Räumlichkeiten der Kameraindustrie immer mehr das Image der bei Fotografen so beliebten, die Nostalgie schürenden „Lost Places“ zugeschrieben wird.

Die Fotografie erlebt fraglos einen dramatischen Wandel. Mit fortschreitender Digitalisierung und Automatisierung werden Wahl und Einstellung der erforderlichen Parameter für eine gelungene Aufnahme – sei es nun Foto oder Video – zunehmend von der Intelligenz der Kamera bestimmt und weniger vom Fotografen. Allerdings obliegt ihm weiterhin die Entscheidung über die gestalterischen Kriterien wie Bildausschnitt und Bildaufbau aber auch über die einzusetzenden Effekte wie Beleuchtung, Kontrast, Farbe oder Schärfe. „Jeder der sehen kann, kann auch fotografieren“, hieß es in einer frühen Werbung von der Traditionsmarke Leica, die dann mit dem Nachsatz relativiert wurde, dass Sehen lernen allerdings sehr langen dauern kann. Nicht unbedingt eine Eigenschaft, die in unserer schnelllebigen Zeit als begrüßenswert gilt.

Manche Bewohner sind auch aus dem gemeinsamen Haus der Fotografie ausgezogen, um sich zu emanzipieren und eine eigenständig Karriere in der großen weiten Imaging World zu starten. Das haben beispielsweise die Kamerahandys gemacht, die den Kameramarkt total in die Bredouille gebracht haben. Die einzigen, die heute noch erfolgreich Kontakt zu den Kindern haben sind Zeiss zu Sony und Huawei zu Leica. Apple einst stark von Kodak inspiriert hat alle Beziehungen abgebrochen und verteidigt, wo es geht, seine Selbstständigkeit. Allerdings hat die Tochter, des Apple Herstellers Foxconn, der Elektronikkonzern Sharp, gerade auf der CES in Las Vegas interessante Lösungen für 8 K Kameras vorgestellt.
Die Smartphones, deren Kameras die Art und Weise wie wir fotografieren und filmen grundlegend verändert haben und zunächst auch die kreative Seite des Bildermachens hinter die schnelle Kommunikation gestellt haben, sind inzwischen in ein eigenes Haus zunächst in Cannes und seit einigen Jahren nach Barcelona gezogen.

Auch einige Kinder des digitalen Bilderdrucks haben das gemeinsame Haus der Fotografie verlassen. Ein paar haben beim „Commercial Printing“, also in der kommerziellen Druckbranche erfolgreich Unterschlupf gefunden. Der Großformatdruck zeigt immer erfolgreicher auf der Fespa, einer riesigen Spezialmesse, seine wachsende Bedeutung und der 3D-Druck schickt sich an, die industriellen Fertigungsmethoden durch additives Drucken, das Prototyping, Schweißen und sogar die Baubranche zu revolutionieren.
Ganz zu schweigen von der Automobilbranche, deren jüngst auf der CES vorgestellten Modelle bis zu 33 Kameras verwenden, ohne auch nur durchblicken zu lassen, dass deren Wurzeln in der Fotografie zu finden sind. Warum sollten sie auch, wenn selbst die großen Player der Kamerabranche inzwischen ihre Herkunft verleugnen und für heruntergekommen erklären? Die Rede ist von den einst den Markt zu mindestens mitbestimmenden Marken Fujifilm, Leica, Nikon und Olympus, die ihre Teilnahme am anstehenden Familientreffen, der photokina im Mai 2020, abgesagt haben. Weitere werden ihrem Beispiel folgen. Zu hohe Kosten und eine sich nicht mehr ihren Marketing Konzepten entsprechende Veranstaltung, wurden als Argumente fürs Schwänzen genannt. Den schwarzen Peter dafür haben sie gleich der KölnMesse und dem Photoindustrie Verband zugeschoben. Zu Recht? Daran darf zumindest gezweifelt werden.

Ja, die photokina, einst unverzichtbares Hochamt der Imaging Branche hat an Besuchern, Ausstellern und Interesse verloren. Ihr ideeller Träger, der Photoindustrie Verband, der sich hauptsächlich aus den Anteilen an der vermieteten Standfläche finanziert, hat sich in den vergangenen Jahren vor allem mit sich selbst und einem neuen Markenbild befasst. Rausgekommen sind ein neues Logo und das Kürzel „PIV“. Eine Verjüngung der Weltmesse des Bildes gipfelte in dem die Internationalität unterstreichenden Claim „Imaging Unlimited“. Der erste Versuch der Umstellung des Familientreffens auf einen jährlichen Turnus im Mai letzten Jahres wurde auf Mai 2020 verschoben, auf einen denkbar ungünstigen Termin direkt vor Pfingsten. Gleichzeitig wurde in diesen zwei Jahren bei der KölnMesse nach Christoph Menke und Fabian Ströter mit Jean Raphael Spitzhorn nun schon der dritte Leiter der photokina bestellt. Bereits deren langjährig amtierende Vorgänger Markus Oster, beklagte das mangelnde Engagement der Industrie an der Entwicklung nachhaltiger Konzepte für die eigentlich hohe Innovationskraft beliebte Imaging Branche. Verständlich: Wie soll eine Messe ein perfektes Umfeld liefern, wenn die Aussteller selbst nicht ihre Interessen klar äußern. Das mag natürlich auch an der Verlagerung der Heimat der Industrie selbst und ihrer Märkte liegen.

Nach wie vor konzentriert sich die Branche im asiatischen Raum. Die großen Märkte sind aber Europa und USA. Dort findet sich die Fotoindustrie nur in Form nationaler Niederlassungen wieder und die haben sich inzwischen längst den japanischen Gepflogenheiten untertäniger Beflissenheit angepasst. Dass der Leiter der deutschen Tochter eines japanischen Kameraherstellers aufsteht und sich für einen Auftritt auf der in Köln stattfindenden Messe stark macht, weil es die Fotografie weltweit stärkt? Eher unwahrscheinlich! Da scheint sich die Katze tatsächlich in den Schwanz zu beißen. Den internationalen Herstellern ist die photokina als internationale Bühne für ihre Produkte zu teuer geworden, ihren Töchtern, die nun allein dafür aufkommen sollen, erst recht. Der Imageschaden weil man nicht mehr dabei ist, hält sich dagegen in Grenzen.
So sägt die Branche Zug um Zug am eigenen Ast und bringt sich damit in eine Teufelsspirale des Abstiegs in die Bedeutungslosigkeit. Niemand braucht mehr eine Kamera! Mit seinem Smartphone hat jeder eine. Gut genug um jeden jederzeit zeigen zu können, was man gerade Tolles macht. Wenn es nicht gelingt, das Fotografieren selbst attraktiv zu gestalten als eine kreative Beschäftigung, wie es Kochen und Nähen längst wieder geworden sind und die Fotografie an sich als ein unverzichtbares Medium darzustellen, das inzwischen alle Lebensbereiche berührt und alle Mitglieder der in alle Winde verstreuten Fotofamilie wenigsten einmal im Jahr zur großen Familienfeier, nach Hause an den Stammsitz, zur photokina in Köln zu holen, droht die Branche in die völlige Bedeutungslosigkeit abzurutschen und sich am Ende Schritt für Schritt selbst abzuschaffen.